Im "nächsten" Leben

Manchmal erkennt man seine wahre Berufung erst im „nächsten“ Leben. So erging es auch dem 1971 geborenen und in der DDR aufgewachsenen Ralf Schlegel, der schon so einige Leben hinter sich gelassen hat.

Nach der Schulzeit erlernt der sensible, kreative Junge erst einmal den Beruf des Elektromechanikers. Ein ordentlicher Beruf, wie man so schön sagt. Ein Wunsch der Eltern, der den jungen Schlegel allerdings nie wirklich erfüllt. Es kommt die Wende und mit ihr ist alles anders. Wie so viele Altersgenossen muss er sich erst einmal neu orientieren. Er arbeitet als Zivildienstleistender in einem Pflegeheim, ist täglich mit Verfall und Tod konfrontiert, und diese Erlebnisse beeinflussen ihn nachhaltig. Schlegel kommt anschließend als ABM-Kraft in einer Tischlerei unter, wird Schaufensterdekorateur, kann wieder kreativ sein. Doch der Beruf stirbt aus. Wieder hat er keine berufliche Zukunft, muss eine neue Richtung finden. Schlegel studiert Grafikdesign und absolviert danach ein Praktikum bei Zeiss – dem Prestigeunternehmen der Region. Am letzten Praktikumstag, bei einer Fahrt im Aufzug, erhält er ein Jobangebot in einem Porzellanunternehmen. Endlich, nach vielen Kurz-Stationen schließt sich für Ralf Schlegel eine stabile Phase an. Er arbeitet sechzehn Jahre lang als Grafiker und Lithograf, entwickelt Druckvorlagen, layoutet, bildet Mediengestalter aus. Drei Kinder, Landhaus, geregeltes Leben im Zwölf-Stunden-Rhythmus. Dann aber kommt es zur Krise – beruflich und privat. Das Leben gerät aus dem Takt und mit ihm die Seele. Dass die Malerei eine therapeutische Wirkung hat, ist bekannt. Schlegel entdeckt hier aber mehr als nur ein Mittel, sich mit sich selbst und seinem Umfeld auseinanderzusetzen. Malen liegt ihm im Blut! Es finden sich spontan Interessenten für seine Bilder und Zeichnungen, er erhält Einladungen für Ausstellungen, erste Kaufangebote.

Mit der Malerei findet der Pößnecker Künstler auch schließlich seinen persönlichen Ausdruck. So hält er seine Umgebung und Mitmenschen mit seinem ganz eigenen Blick fest. Seine oft farbenfrohen und doch fragilen Pastelle zeigen ein interpretierbares Bild, das viel Raum für eigene Phantasie lässt. Aufs Papier kommt ihm dabei vor allem seine direkte Umgebung, aber auch Menschen, die ihn Faszinieren und sein Interesse wecken. Durch Farb- und Formgebung der Realität entrückt, zeigen die Bilder Tiefe und offenbaren ihre Geheimnisse. Seine eigene Vergangenheit ist dem Künstler kein Hindernis mehr. Im Gegenteil, sie hilft ihm vielmehr, auf sein Innerstes zu hören und das Besondere in bestimmten Situationen, Menschen und Orte zu erkennen.

Im Sommer 2016 reist Ralf Schlegel erstmals gemeinsam mit der Reisejournalistin Barbara Vetter durch Sri Lanka. Eine Insel, die hinter ihrer offenkundigen Pracht und natürlichen Schönheit auch fragile Risse zeigt – durch Tsunami, jahrzehntelangen Bürgerkrieg und Armut geprägt ist. Neben ausdrucksstarken Fotografien entstehen hier sehr persönliche Pastelle der Tropeninsel und der dort lebenden Menschen. Der Kontrast zwischen den schnellen, unmittelbaren Bildern der Kamera und den zeitintensiven Zeichnungen sowie der individuelle Blick der beiden Reisenden auf das Erlebte offenbaren sich im direkten Gegenüber.

Nancy Droese, Jena 2016